In kaum einer Stadt gelingt die Verbindung von Einzelhandel, Tourismus und Wohnen so gut wie in Maastricht. Von der niederländischen Stadt lässt sich einiges lernen auch wenn selbst dort nicht alles perfekt ist.
Wenn man Hans Hoorn Glauben schenkt, dann kann es nur einen Ort geben, wo eine Stadtführung durch Maastricht beginnen kann. Der 79-Jährige beginnt seine Touren meist am Hauptbahnhof. Dort steigen schließlich zahlreiche Besucher aus, bekommen ihren ersten Eindruck von der quirligen Stadt – und der ist ja bekanntlich entscheidend. „Hier gibt es erstmal eine Tiefgarage für Fahrräder. In anderen Städten beginnt das Chaos bereits, wenn unzählige Räder einfach vor dem Bahnhof stehen.“ Und Chaos, das ist etwas, was sie in Maastricht mit seinen gut 120.000 Einwohnern unbedingt vermeiden wollen. Die Stadt ist bekannt dafür, dass sie seit den Neunzigerjahren ihre Attraktivität kontinuierlich steigern konnte. Gut 4,5 Millionen Touristen strömen dort jedes Jahr hin. Es gibt zahlreiche gute Restaurants, einen lebhaften Einzelhandel sowie Marktplätze und einen historischen Stadtkern. „Wer all die Facetten entdecken möchte, der braucht mindestens einen ganzen Tag“, sagt Hoorn. Der Mann mit den blonden Haaren und der runden Brille muss wissen, wovon er spricht. Schließlich war er nicht nur stellvertretender Leiter des Stadtentwicklungsamts von Maastricht und Vorsitzender diverser Stadtgestaltungskommissionen in den Niederlanden. Er ist auch Stadtsoziologe und hält Vorträge, wie eine gute Stadtplanung funktionieren kann. Und er führt gerne durch sein Maastricht.
Ziel der Stadtentwicklung ist immer gewesen, die städtebauliche und soziale Qualität zu verbessern.
Mehr als 3000 Fahrräder passen in die Tiefgarage. Das mag man aus deutscher Perspektive direkt für viel halten, ist aber nach niederländischen Maßstäben eher bescheiden. Amsterdam hat eine solche Garage für 15.000 Fahrräder, Utrecht sogar eine für 30.000. Dennoch: Die Tiefgarage zeigt, dass man sich viele Gedanken über das Stadtbild in Maastricht macht. Die Stadt im Dreiländereck Deutschland, Belgien und Niederlande gilt als attraktiver Einkaufsstandort und als ein Ort, wo Menschen gerne leben. Nur wie gelingt das eigentlich?
Jedes Projekt muss die Qualität verbessern
Maastricht war einst stark vom wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen, hatte im landesweiten Durchschnitt viele Arbeitslose. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Für Maastricht wurde eine Strategie entwickelt, ein Leitbild, wie sich die Stadt entwickeln sollte. „Im Rahmen dessen wurden Aktionsgebiete ausgewiesen“, erläutert Hoorn. Stück für Stück wurde so die Stadt erneuert. Ziel sei immer gewesen, die städtebauliche und soziale Qualität zu verbessern. Das Stadtentwicklungsamt hat rund 200 Mitarbeiter. Angesichts von gut 120.000 Einwohnern ist das eine stolze Zahl. Zum Vergleich: Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung in München hat rund 800 Mitarbeiter – allerdings hat die Stadt auch über 1,5 Millionen Einwohner.
Eine entscheidende Rolle spielt aber auch die Stadtentwicklungskommission, die es in allen großen niederländischen Städten gibt und der in Maastricht bis zu sechs Architekten oder weitere Spezialisten angehören. Die dürfen nicht einmal alle aus derselben Stadt kommen, sodass keine Interessenkonflikte entstehen können. Denn wie würde vielleicht ein Maastrichter Architekt entscheiden, wenn sein Freund einen neuen Laden in der Innenstadt plant? Die Kommission beurteilt alle Baupläne, ob für Wohnhäuser, Büros oder Geschäfte. „Wir haben Pläne nur bewilligt, wenn sie das Stadtbild qualitativ aufwerteten“, sagt Hoorn. Und ohne ein entsprechendes Gutachten, vergibt eine Stadt in den Niederlanden meist keine Baugenehmigung. Alle 14 Tage trifft sich die Kommission in der Regel und berät über verschiedene Baupläne, kleine wie große. „Wenn mir ein Architekt einen neuen Bauplan vorgelegt hat, hatte ich nur eine Frage an ihn“, sagt Hoorn: Was können Sie der Qualität Maastrichts hinzufügen?
Wer entdecken möchte, was Hoorn damit meint, der muss ihm vom Bahnhof aus zu Fuß um die 700 Meter zu einem Ort folgen, zu dem es nur wenige Touristen hinziehen dürfte. Hoorn nimmt nicht den direkten Weg in die Altstadt, sondern biegt nach Süden ab. Er stellt sich dann vor ein modernes Gebäude mit einer halben Glasfassade und dicken weißen Außensäulen, dem Centre Céramique, davor ist ein Platz. Das Gebäude beherbergt heute die Stadtbibliothek. Vorher stand hier einst eine ganze Keramikfabrik, die Fläche: 22 Hektar.
Menschen sollen nicht zum Einkaufen kommen, sie sollen etwas erleben und anderen Menschen begegnen.
Ende der Achtziger schrieb der Eigentümer einen Brief an die Stadt, dass er das Gelände verkaufen möchte. Für eine Stadt ist das ein entscheidender Zeitpunkt. Entweder man erwirbt das Gelände selbst – was je nach Haushalt schwer ist, oder man sucht einen Investor, der hoffentlich eine gute Idee mitbringt. Maastricht hat eine dritte Variante gefunden und sich mit einem Investor zusammengetan. Durch diese öffentlich-private Partnerschaft konnte die Stadt gut mitentscheiden, was mit dem Gelände passieren soll, ohne das volle finanzielle Risiko zu tragen. Heute befindet sich auf dem gesamten Gebiet ein Quartier mit 1300 Wohnungen, Händlern, Museen, eine Bibliothek, Tiefgaragen und die Hoge Brug, eine neue Brücke rüber zur Altstadt.
Touristen hingegen zieht es eher direkt in die Altstadt und damit auch in das Herz der Einkaufsstadt Maastricht. Ein Highlight für viele Besucher ist sicherlich die alte Dominikanerkirche, die inzwischen zu einer Bücherei umfunktioniert wurde. „Die Leute kommen zwar wegen der Einkaufsmöglichkeiten, das ist aber nicht der entscheidende Punkt für die Entwicklung der Stadt gewesen“, sagt Hoorn. Es ginge darum, ein Erlebnis zu kreieren. Deshalb gibt es für Händler auch ein Auslageverbot auf der Straße. Die Produkte gehören in die Läden und nicht davor, ist Hoorn überzeugt.
Wer sich nur auf den Handel konzentriere, mache wieder Fehler. „Sonst kommen Leute auf eine einzige Einkaufsmeile, oder in ein Shopping-Center und verlassen im Anschluss die Stadt wieder direkt“, meint Hoorn. Und in der Tat: Es sind Bilder, die man in Deutschland aus vielen Städten kennt. Die Schildergasse in Köln etwa ist ein Paradebeispiel dafür: tagsüber prall gefüllt und abends verwaist.
„Menschen sollen nicht zum Einkaufen kommen, sie sollen etwas erleben und anderen Menschen begegnen“, sagt Hoorn. Deshalb achte die Stadt darauf, dass sich auch viele Restaurants mit gutem Essen ansiedeln. Und sie veranstaltet Events. Andre Rieu etwa komme dreizehnmal pro Jahr und spiele pro Abend vor 12.000 Gästen, erzählt Hoorn. „Und die Gäste kommen teilweise aus Australien dafür, bleiben ein paar Tage, bringen Geld mit – und kaufen selbstverständlich auch ein.“
Deutsche Kommunen suchen Inspiration
Es ist besonders eine Änderung, die Maastricht heute so beliebt macht: Aus der Innenstadt ist der Verkehr weitestgehend verbannt. Für sie gibt es dort auch nur Tiefgaragen, keine Parkhäuser. Denn das ist laut Hoorn eine „abscheuliche Architektur“. Zudem kann man mit dem Auto nicht quer durch die Innenstadt fahren. Alles muss den Ring drum herum nehmen, auch der Bus. Doch die Maßnahmen der Stadt haben auch ihre Schattenseiten. „Da wir in unserer Größe begrenzt sind, steigen die Mieten in der Innenstadt“, erläutert Hoorn.
So müsse ein Einzelhändler teilweise bis zu 1500 Euro pro Quadratmeter pro Jahr zahlen. Und dann hat er noch kein Personal eingestellt, kein Wasser und keinen Strom verbraucht. Dass es in Maastricht dennoch kaum Leerstände gebe, liege daran, dass teure Markenhändler kleinere, inhabergeführte Geschäfte verdrängten. „Wenn wir von einer Sorte daher genug haben, dann sind es Schuh- und Modeläden“, findet Hoorn. Die Gefahr, die Hoorn sieht: Dass Maastricht zwar immer schöner, aber von Touristen überlaufen wird und sich die Einheimischen dort nicht mehr wohl fühlen – das Venedig-Phänomen also, wenn man so will. Es sind allerdings Probleme, von denen andere Städte nur träumen können.
„In Göttingen zum Beispiel fahren 600 Busse durch die Innenstadt, das ist doch schrecklich“, sagt Hoorn. Politiker müssten nur den Mut haben, Maß-nahmen wie Fußgängerzonen durchzuziehen und sie müssten bereit sein, zu investieren. Doch die Überzeugungsarbeit scheint schwer. Hoorn, der auch schon Kommunen in Deutschland beraten hat, erinnert sich noch an den Besuch eines Duisburger Bürgermeisters in Maastricht. „Die Delegation war damals begeistert von unserer Stadt, auf der Rückfahrt sagte er aber wohl zu seinen Mitreisenden, dass er Duisburg dann doch viel schöner finde als Maastricht“, so Hoorn. Als Lokal-patriot mag man eine solche Aussage vielleicht toll finden, doch mit einer händler- und menschenfreundlichen Stadt wird das dann eher nichts.